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Aus dem Leben gerissen:
Wenn Unfälle oder Erkrankungen alles verändern

Wenn wir von jüngeren erkrankten Personen sprechen, dann meinen wir damit Menschen zwischen 20 und 70 Jahren. Menschen, die mitten im Leben stehen, arbeiten, reisen, Freunde treffen, Sport treiben, Pläne schmieden. Von einem Moment auf den nächsten wird dieses Leben auf den Kopf gestellt. Nichts ist mehr, wie es eben war. Ein Unfall oder eine folgenschwere Erkrankung aus dem internistischen, neurologischen oder onkologischen Formenkreis katapultiert diese Menschen in ein völlig neues Leben.

Es kann jeden, jeden Tag
und zu jeder Stunde treffen.

Versuchen Sie einen Moment, sich das Unvorstellbare vorzustellen:

Sie sind nach einem Unfall beziehungsweise Ihrer schweren neurologischen, onkologischen oder internistischen Erkrankung – MS, ALS, Schlaganfall, Hirntumor, Aneurysma und/oder einer Operation – seit sechs Wochen in der Reha-Klinik.

Ihr Verlängerungsantrag wurde von der Krankenkasse abgelehnt.

Eine ambulante Reha-Maßnahme für den Alltag bei Ihnen zu Hause gibt es für Ihren Personenkreis noch nicht.

Sie haben jetzt einen Tag Zeit, sich an die folgenden Gedanken zu gewöhnen:

Sie können nicht mehr nach Hause zu Ihrer Familie und in Ihr gewohntes Umfeld.

Sie werden nicht mehr mit Ihren Nachbarn, Freunden und Bekannten sprechen, wenn Sie von der Arbeit nach Hause kommen, im Garten arbeiten oder ein Fest feiern.

Sie werden nicht mehr an Ihren Arbeitsplatz zurückkehren können.

Sie werden nicht mehr mit Ihren Kollegen ein Forschungsprojekt oder die nächsten Arbeitsschritte besprechen.

 

Sie werden in einem Altenheim leben müssen, weil es keinen anderen Platz gibt.

Sie dürfen von Ihrem Eigentum mitnehmen, was in einen Raum von 15 bis 20 qm passt.

Sie teilen eventuell ein Zimmer mit einem Menschen, den Sie noch nicht kennen.

Sie fahren mit Ihrem Rollstuhl den Flur entlang, hinter deren Türen lauter unbekannte Menschen leben.

Sie werden jetzt den Alltag mit Senioren, Pflegekräften, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten teilen und gestalten.

Sie werden ein Taschengeld von 110,- Euro im Monat erhalten, von dem Sie Ihre Freizeitaktivitäten, Kleidung, Friseur und Restaurantbesuche bezahlen.

Sie vermissen Ihren Alltag, Ihr altes Leben, Ihre Familie, Ihre Freunde, Ihren Sport und Ihre Privatsphäre.

Sie sind traurig, wütend und hilflos, weil Ihnen diese Lebenssituation und diesen unbekannten Weg niemand abnehmen kann.

Stellvertretend für die zahlreichen Schicksale lässt uns einer dieser Menschen im folgenden Erfahrungsbericht an seinen ganz persönlichen Gedanken und Gefühlen teilhaben.

Persönlicher Erfahrungsbericht (zum Lesen bitte hier klicken)

„Ich liege in einer Reha-Klinik, Schwerpunkt Neurologie, sortiere meine Gedanken, mein Leben, betrachte meine Perspektiven und wünsche mir mein altes Leben zurück, das ich vor der Operation leben durfte.

Ich bin 42 Jahre jung, habe studiert und bis vor sechs Wochen war mein Arbeitsplatz eine leitende Position im Forschungsbereich. Ich habe zwei fast erwachsene Kinder, meine Frau arbeitet ebenfalls, mich umgibt ein gutes soziales Umfeld. Ich bin finanziell abgesichert, Haus, Auto, ein großer Freundeskreis, sportlich orientiert, viele Geschäftsreisen, berufliche Weiterbildungen und interessante Urlaubsziele.

Es ging mir sehr gut!!!!!!

Mein Weg war dann ein ganz alltäglicher.

Ein Untersuchungstermin beim Augenarzt, weil das Lesen der Texte am Computer zunehmend schwieriger wurde. Eine Brille wird nötig sein! Der Augenarzt überweist mich zum Neurologen, der vereinbart einen Termin beim Radiologen. Eine unangenehme Ahnung erfüllt mein Denken!

Innerhalb von einer Minute erfahren ich und meine Familie, dass ein großer Hirntumor meine Diagnose ist und eine sofortige Operation unumgänglich.

Mein Leben verändert sich in Sekunden auf das Schlimmste.

Die erste Operation, die eine zweite nach sich zieht. Ein Schlaganfall postoperativ, dem ein zweiter folgt. Die Nachricht, dass ein Auge ohne Sehkraft sein wird, erschwert meine Lebenssituation und die meiner Familie.

Hier liege ich im Bett, habe sehr viel Zeit, über meine Leben und meine Situation nachzudenken.

Es wird mehr über mich gesprochen als mit mir. Eine Tumoroperation bedeutet nicht den Verlust der Intelligenz!

Aus einem Gespräch zwischen Ärzten, Schwestern und Therapeuten auf dem Flur erfahre ich, dass ein Leben zu Hause für mich nicht mehr möglich sein wird. Ein Heimplatz müsse gefunden werden und meine Familie solle bitte in der nächsten Zeit Altenheime anschauen, um zeitnah einen Pflegeplatz zu finden.

Das darf nicht sein! Meine Zukunft ist das Altersheim!

Zwischen 80- und über 90-jährigen alten Menschen, die zum Teil dement sind, schreien, kaum noch kommunizieren und dort ihren Lebensabend verbringen. Ich ziehe in einen Raum, der nicht größer als 15 qm sein wird, den ich, wenn kein Einzelzimmer frei ist, mit einem Menschen teilen muss, der viel älter ist als ich und mit dem ich überhaupt nicht vertraut bin. Meine Nachbarn sind nicht die Menschen, die ich schon jahrelang kenne. Ich werde abends nicht mehr durch die Straßen fahren, wenn ich nach Hause komme. Es wird der lange Flur sein, der von alten Menschen bewohnt ist, den ich zukünftig im Rollstuhl rauf und runter fahren darf. Ich muss dort leben, weil es nichts anderes gibt. Ich werde in Zukunft von einer Altenpflegerin geweckt, nicht von meiner Frau und den Kindern. Ein Altenpfleger wird für mich entscheiden, wie mein Alltag strukturiert ist. Mein Gehalt wird durch ein Taschengeld von 110 Euro ersetzt. Mein Arbeitsplatz wird im Ergotherapie-Raum sein.

Für mich wird die Entscheidung, im Altenheim leben zu müssen, in 15 qm, ohne die Familie, mit ganz wenig eigenen Möbeln, ohne das gewohnte soziale Umfeld, Sport, Arbeit, Auto, Freiheit und Perspektiven, zum Albtraum.“

Der Jüngere Wohn-Pflege e. V. hat es sich zur Aufgabe gemacht, jüngere erkrankte Menschen auf ihrem individuellen Weg zu begleiten. Gemeinsam mit unseren Mitgliedern, Förderern und Sponsoren entwickeln und realisieren wir Projekte, die diesen Menschen ein selbstbestimmtes, wertschätzendes, ihren Potenzialen und Kompetenzen entsprechendes Leben ermöglichen.

 

Neben unserem bereits installierten Pilot-Projekt arbeiten wir derzeit an einem zusätzlichen Wohngruppen-Projekt mit Tages-, Nacht- und Urlaubsangebot sowie weiteren Hilfsangeboten.

 

Wir freuen uns über Ihr Interesse und Ihre Unterstützung!